„Gedankenfutter“ macht Mut für Neues

Raiffeisenverband Westfalen-Lippe und Raiffeisen- Stiftung zeigen genossenschaftliche Zukunftswege

Eine genossenschaftliche Kooperation zwischen Westfleisch, Agravis und NABU? Nichts ist unmöglich, wenn Denkverbote fallen und gemeinsam definierte Ziele in den Fokus rücken. „Neu denken und zusammen mehr erreichen für Genossenschaften, ihre Mitglieder und für den ländlichen Raum“, ist die Botschaft, die am Donnerstagabend (18.08.) über 70 Vertreter von Genossenschaften und Kommunen in Westfalen-Lippe vom Gut Havichhorst in Münster mitnahmen. Eingeladen hatten der Raiffeisenverband Westfalen-Lippe (RVWL) und die Raiffeisen -Stiftung zu einem Vortrags- und Diskussionsabend, um „Gedankenfutter“ zu generieren für neue genossenschaftliche Geschäftsmodelle und zukunftsweisende Formen der Zusammenarbeit. „Die Genossenschaften sehen sich in radikal veränderten Märkten völlig neuen Herausforderungen gegenüber und brauchen Strategien, um die Zukunft erfolgreich zu meistern. Gleichzeitig sollten Genossenschaften noch stärker ihre Möglichkeiten nutzen, ländliche Räume zu gestalten“, sagte Friedrich Becker, Aufsichtsratsvorsitzender des RVWL.

Großes Potential, zukunftsfähige Lösungsansätze zu finden und weiterzuentwickeln, attestierte Professor Rainer Kühl Leiter des Instituts für Genossenschaftswesen der Justus-Liebig-Universität Gießen den Raiffeisen-Genossenschaften in seinem Impulsvortrag. „Sie sind als Raiffeisen-Genossenschaften gut aufgestellt und haben in der Vergangenheit schon vieles richtig gemacht“, so Kühl. Jetzt gelte es, die vorhandenen Kapazitäten und die genossenschaftlichen Stärken für Zukunftsstrategien zu nutzen. „Die dezentrale Organisation, die starke Verankerung in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum sind dabei wesentliche Erfolgsfaktoren. Der genossenschaftliche Verbund passt perfekt in eine Zeit, in der Netzwerke immer wichtiger werden“, sagte der Wissenschaftler.

Welche Entwicklungsmöglichkeiten haben die ländlichen Genossenschaften? Kühl warnte die Unternehmen vor einem verzehrenden Eskalationswettbewerb. Es gelte viel mehr, gemeinsam zu neuen Ufern aufzubrechen. Das hieße eben nicht nur bekannte Marktnischen stärker zu nutzen, sondern „Genossenschaften verfügen auch über ausgeprägte soziale Kompetenzen im Spannungsfeld von Mitgliedern, Mitarbeitern und Kunden und könnten als Kooperationsmodell gerade im Lebensmittelsektor neue Wege gehen und zum Beispiel Start-Up-Unternehmen der Branche unterstützen“, machte Kühl deutlich. Aber auch als regionale Vernetzungspartner in vielen Bereichen der Daseinsvorsorge an der Seite der Kommunen könnten Raiffeisen-Genossenschaften ihre zukünftige Rolle finden, denn „Genossenschaften sind regional sehr stark“, so Kühl. „Aber: Niemand hat gesagt, dass es bequem wird!“

Viel Stoff und Gedankenfutter für die Podiumsdiskussion mit Professor Kühl, Dr Christian Degenhardt (Vorstand RVWL), Jan Heinecke (Vorstand AGRAVIS AG), Eva Lisges (NABU NRW) und Carsten Schruck (Vorstand Westfleisch SCE) unter der Leitung von Patrick Liste (Chefredakteur Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben). Die Themen waren vielfältig:

Wie gehen die Genossenschaften als Unternehmen der Ernährungsbranche mit den veränderten Verzehrgewohnheiten der Bevölkerung um? Wie beeinflussen der Klimawandel und die Energiekrise das Geschäft? Könnten gemeinsam neue Produkte entwickelt werden? Auf welche Bereiche könnte das Genossenschaftsmodell übertragen werden?

In einer lebhaft geführten Diskussion, an der sich das fachkundige Publikum aktiv beteiligte, wurden bereits im Aufbau befindliche Zukunftsstrategie aus den Genossenschaften geschildert, aber auch welche Herausforderungen oder Probleme damit teilweise verbunden seien, zum Beispiel beim Thema Fleischersatzprodukte. Wenngleich es zum Teil kontrovers zuging, in einem waren sich jedoch alle einig: „Wir müssen viel mehr miteinander sprechen“.

Klar wurde im Podiumsgespräch, dass auch im Bereich von Umwelt- und Naturschutz genossenschaftliche Aktivitäten schon konkret denkbar sind. Wie nach niederländischem Vorbild eine genossenschaftliche Kooperation für die Umsetzung von Agrarumweltmaßnahmen und Vertragsnaturschutz und weniger Bürokratie sorgen könnte, schilderte Dr. Degenhardt. Der Raiffeisenmarkt der Zukunft könnte im ländlichen Raum zum Dreh- und Angelpunkt werden zum Beispiel mit Produkten von Direktvermarktern im Regal und dem Service einer Poststation.

Das Kerngeschäft der Raiffeisen-Genossenschaften dürfe dennoch nicht aus dem Blick geraten, wurde aus den Diskussionsbeiträgen deutlich. Gleichzeitig sei es angezeigt, sich der eigenen Stärken bewusst zu werden und auch unbequeme Themen aktiv anzufassen, um neue Geschäftsfelder zu entdecken oder aktiv neue Genossenschaften zu gründen.

„Wir sollten uns gemeinsam den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen stellen“, resümierten Heinecke und Schruck. „Das heißt auch, dass wir alte Pfründe aufgeben und neue Denkmuster zulassen müssen, um zusammen als Genossenschaften mehr zu erreichen für unsere Mitglieder und einen lebenswerten ländlichen Raum.“

Das Publikum zeigte sich mit der Diskussionsrunde und den Ergebnissen zufrieden. Die Raiffeisen-Stiftung, die die Veranstaltung initiiert hat, sieht sie als Auftakt für eine Veranstaltungsreihe und plant mit anderen genossenschaftlichen Kooperationspartnern und Unterstützern ähnliche Veranstaltungen in weiteren Regionen Deutschlands.